Brutale Berliner Bohème!
Lang vor „Babylon Berlin“ hob Else Edelstahl ihre Partyreihe „Bohème Sauvage“ aus der Taufe. Zu deren 20. Jubiläumtrafen wir die geniale Impresaria zum Gespräch
Wer die Goldenen Zwanziger liebt, wird sie kennen: „Bohème Sauvage“, eine Partyreihe, die ihre Gäste ins Berlin der Roaring Twenties entführt. Sie wird seit 20 Jahren an wechselnden Orten der Stadt ausgerichtet, in Clärchens schönem Ballhaus etwa, auch im Ballhaus Berlin und im Ballhaus Walzerlinksgestrickt, außerdem im Wintergarten und bei Leydicke.
Mittlerweile gibt es die „Bohème Sauvage“ auch in anderen Städten wie Hamburg oder Köln, zudem hat die Gründerin Else Edelstahl einen entsprechenden Kostümverleih in Friedrichshain etabliert. Denn: Wer mitfeiern will, sollte sich auch in die glitzernden Flapperkleider oder strammen Hosenträger der 1920erwerfen.
Zum 20. Jubiläum haben wir Else Edelstahl zum Gespräch getroffen: Wie kam sie auf die Idee zur Reihe? Wie hat sie es geschafft, eine derart ausgefallene Veranstaltung so lange am Leben zu halten? Und was hält die Partyqueen eigentlich vom Serien-Hit „Babylon Berlin“?
Frau Edelstahl, wie kommt eine junge Frau darauf, einen Tanzabend ins Leben zu rufen, der eher Nostalgiker anspricht?
Es begann, als ich 23 Jahre alt war. Zu dieser Zeit gab es in Berlin so gut wie keine Kultur rund um die Zwanzigerjahre in dieser Stadt. Ich hatte mich schon vorher mit historischen Themen beschäftigt, mit Anfang 20 kam ich etwa auf die Zeit des Rokoko und seine höfischen Tänze. Für Kostüme hatte ich immer schon viel übrig. Mein Drang war es dann, Geschichte erlebbar zu machen, im Mittelalterbereich zum Beispiel ist das ja sehr verbreitet. Aber ich war in dieser Rollenspielszene anfangs nicht so tief drin, hatte allerdings Bekannte, durch die ich vielmitbekommen habe.
Festgelegt haben Sie sich dann auf die Zwanzigerjahre. Wie kames zur ersten Party?
Aus einer Schnapsidee heraus. Ich kam darauf, einen Zwanzigerjahre-Salon in meiner Wohnung an der Simon-Dach-Straße zu veranstalten. Zusammen mit einer Freundin luden wir ungefähr 50 Gäste ein, und das Ganze ging bis zum nächsten Morgen um 11 Uhr – letztlich endete der Salon in einer Orgie. Wir nannten uns Emma und Else Edelstahl und spielten Schwestern; ich die Lebedame, sie die ätherisch-esoterische Dame. Einladungen wurden selbstverständlich per Hand geschrieben und jeder Gast musste sich eine Geschichte überlegen zu dem Charakter, den er an dem Abend spielen wollte, wie er heißt, was er macht. Es war ein bisschen wie eine Geheimgesellschaft, aber auf eine spielerische Art.
Mit den Jahren ist aus dem Salon eine Reihe mit Ablegern in mehreren anderen deutschen Städten geworden. Sie haben die „Bohème Sauvage“ kommerzialisiert.
Das Echo der Gäste war von Anfang an äußerst gut. Zur Zeit der Gründung hatte man in Berlin das Gefühl, dass es sonst nur Techno-Partys gibt. Wir dagegen hatten Schallplattenunterhalter, Grammophone und Vorträge, etwa über die neue Logik in der Mathematik, die in den Zwanzigern aufgekommen war. Wir hatten Zeitungen wie die Vossische Zeitung besorgt, und einen Lehrer, der den Gästen die Schritte des Charleston beibrachte. Das Ganze war spielerisch angelegt. Anfangs waren die meisten Gäste Mitte 20, heute ist alles dabei, von 18 bis 80.
Noch mal zur Frage der Kommerzialisierung...
Ja, den Salon haben wir dann alle drei Monate veranstaltet. 2006 bekam ich schließlich das Angebot eines Bekannten, der den Bassy Cowboy Club am Pfefferberg betrieb, dort einen Abend zu veranstalten. Ich überlegte mir also, das Konzept an die Öffentlichkeit zu bringen, aber eher als Hommage an die 1910er-, 20er- und 30er- Jahre. Der Abend lief gut, ich habe am Ende Gewinn gemacht, wenn auch nicht viel. Es waren 250 Leute da gewesen, was für eine zuvor unbekannte Veranstaltung recht viel war. Dabei gab es auch damals schon die Regel, dass die Gäste sich verkleiden müssen. Und übrigens ist auch unser Verbot von Mobiltelefonen nach wie vor in Kraft − es gibt ja unseren Fotografen, Heinrich von Schimmer, der Fotos macht, sowie die vollautomatische Fotokabine.
Wie ging es nach dieser ersten Party im Bassy Clubweiter?
Nach dem Bassy Club folgten weitere Veranstaltungen im BKA-Theater und im Oxymoron in den Hackeschen Höfen. Die Partys wurden immer größer, mit der Zeit kam auch die Presse, es war dann kein subkulturelles Ding mehr, sondern wurde für ein breites Publikum interessant. Dann kamen andere Städte dazu, Hamburg und Köln, und die große „Bohème Sauvage“ unter freiem Himmel, zur Sommerfrische auf dem Pfingstberg in Potsdam, mit einem sommerlichen Ausflug mit dem Dampfer auf der Spree. Das Ganze entwickelte sich zu meinem Hauptberuf. Ich habe dann noch das „Burlesque Festival“ und schließlich eine GmbH gegründet.
Also eine sehr erfolgreiche Entwicklung.
Ja, insgesamt schon. Früher waren die Partys für mich wirklich extrem aufwendig, weil ich ja alles selbst gemacht habe, vom Programmheft über
die Dekoration bis zum Druck des Inflationsgeldes, mit dem an den Roulettetischen gezockt wird – jeder Gast erhält ja am Eingang 50 Millionen Reichsmark, die er verspielen kann. Hinzu kam der Ticketvorverkauf, der Aufbau der Absinth-Bar, die bei keinem Abend fehlen darf, die Absprachen mit dem Conferencier Coco und dem Tanzlehrer, dem Bauchladenfräulein, die Zigarettenspitzen und Federboas anbietet, mit der Kapelle, der Schönheitstänzerin, dem Schallplattenunterhalter.
Klingt nach einer Menge Arbeit, die allerdings Corona erst mal unterbrochen haben dürfte. Oder wie lief es während der Pandemie?
Super! Also natürlich war das eine schlimme, aber für mich persönlich auch
die entspannteste Zeit meines Lebens. Ich war davor an meine persönliche Grenze gestoßen und konnte mich während der Pandemie endlich regenerieren. Ich war nicht faul, habe dies und das gemacht, zum Beispiel den Podcast „Goldstaub“ gestartet, für den ich heute eine neue Aufnahme mache. Und ich habe mich gut erholt!
Und nach Corona konnten Sie an den Erfolg der Partyreihe nahtlos anknüpfen?
Am Anfang waren die Gäste schon noch ängstlich. Aber mittlerweile sind die Termine wieder alle ausverkauft − und wir verkaufen teilweise zwischen 800 und 1000 Tickets pro Veranstaltung.
Hatte zuletzt auch der große Erfolg der Zwanzigerjahre-Serie „Babylon Berlin“ das Interesse an Ihrer Partyreihe noch mal vergrößert?
Das kann ich gar nicht so genau beantworten, es gibt ja keine wissenschaftlichen Erhebungen, mit denen sich diese These stützen ließe. Ich denke, dass sich die Serie und die Partyreihe vielleicht gegenseitig befruchten. Auch wenn ich nicht behaupten würde, dass die „Bohème Sauvage“ zum Erfolg der Serie beigetragen hat.
Wissenschaftliche Erhebungen mag es nicht geben, aber vielleicht hat sich Ihr Publikum seit Erscheinen der Serie sichtlich vergrößert oder verändert?
Das würde ich nicht sagen. Am Anfang, als die Serie neu herauskam, gab es zwar schon Leute, die zum DJ gegangen sind und fragten, ob er „Zu Asche, zu Staub...“ spielen könne, den Titelsong aus „Babylon
Berlin“. Also haben unsere Partys offenbar schon einige Fans der Serie besucht. Eigentlich ist unser Publikum aber schon immer extrem heterogen. Es sind sehr unterschiedliche Menschen aus allen Bereichen und allen Altersklassen da. Solche, die sich das einfach mal spontan anschauen wollen, aber auch viele absolute 20er-Jahre-Enthusiasten.
Wie gefällt Ihnen denn ganz persönlich die Serie?
Ich mag sie sehr gerne und hatte in der letzten Staffel sogar eine Mini-Sprechrolle drin. Dabei habe ich hautnah miterlebt, wie viel Wert die Macher auf Authentizität legen, zum Beispiel bei der Kleidung und der Ausstattung, die phänomenal ist. Die Regisseure der Serie, TomTykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries, habe ich übrigens auch für meinen Podcast interviewt. Das einzige,was ich an „BabylonBerlin“ bemängeln würde, ist die Musik. Die ist zwar ganz toll, aber eben nicht authentisch, was ich schade finde.
Und bei Ihren Partys ist das anders?
Seit kurzem haben wir wieder eine eigene Kapelle, „Let’s Misbehave“ mit drei Damen und drei Herren. Und unsere Schallplattenunterhalter Doktor Hirschfeld und Felix de Venosta sind auch dabei.
Die Musik ist allerdings nur das eine. Es braucht mehr, um auf einer Party für wirklich gute Stimmung zu sorgen. Wie gelingt Ihnen das immer wieder?
Das ist eine Kombination vieler kleiner Details. Und natürlich sind auch Gäste entscheidend, die eben nicht nur irgendwo rumstehen, sondern wirklich feiern − und die auch ganz neue Gäste willkommen heißen. Es gibt zwar strenge Regeln, etwa unsere Kleiderordnung, aber innerhalb dieses Rahmens ist es auf unseren Partys relativ einfach, neue Menschen kennenzulernen. Weil eben alle etwas Besonderes teilen.
Heute Abend veranstalten Sie eine „Bohème Sauvage“ im Metropol hier in der Stadt. Die nächste Berliner Ausgabe wird dann am 16. März im Ballhaus Wedding stattfinden.
Das stimmt. Ins Ballhaus Wedding passen nur 200 Gäste und wir veranstalten eine „Soirée sensuelle“, einen Themenabend innerhalb der „Bohème Sauvage“, der erotischer wird. Keine Sexparty, aber die Gäste sind angehalten, sich an einer weiteren Kleiderregel zu orientieren: Je weniger, desto besser! Es soll sinnlich sein.
publiziert in: Berliner Zeitung, 17. Februar 2024