Gerüstet für alle Fälle

Vorbereitet auf Notfälle: Die Zahl sogenannter Prepper steigt. Natürlich sind auch Reichsbürger darunter, doch es gibt auch „ganz normale“ Menschen, die sich absichern wollen.

 

BERLIN – Thomas Wendt, 51, wohnt mit seiner Familie in einem Einfamilienhaus mit großem Garten am Rand von Berlin. Das Haus wirkt von außen wie viele Häuser dieser Art, der Zaun ist vielleicht etwas höher als bei anderen. Es gibt eine Alarmanlage, das ist heute auch nichts Ungewöhnliches mehr, aber keine Kameraüberwachung. „Kameras will ich nicht installieren, denn das macht nur nach außen den Eindruck, als ob hier was zu holen ist“. Wendt, Vater von vier Kindern, macht sich seit einiger Zeit Gedanken zum Thema Sicherheit. Und er weiß, dass es ein untrüglicher Hinweis für Einbrecher ist, wenn teure Autos vor dem Haus parken.

„Es begann so um das Jahr 2016 herum“, erinnert sich Wendt. Da kam im Gespräch mit Kumpels das Thema auf, ein „zweites System“ zu haben, zur Sicherheit. In der Firma, falls mal das Hauptsystem versagt. Wendt arbeitet als Projektleiter im Baubereich und ist viel unterwegs. Danach überlegte Wendt, auch für sein privates Haus ein Ersatzsystem einzurichten. Es kann alles Mögliche passieren – Stromausfall, Feuer, Vandalismus. Oder ein GAU, ein militärischer Ernstfall, eine Naturkatastrophe. Wendt besorgte sich Fachliteratur wie das „Handbuch für den Prepper“,und Bücher von Rüdiger Nehberg.

Wendt ist ein Mann der Praxis: um einen Stromausfall zu simulieren, schaltete er kurzerhand den gesamten Strom im Haus ab und schaute, was passiert. „Nicht mehr viel“, war die wenig überraschende Erkenntnis. So begann er sein Haus für den Ernstfall zu präparieren. Er kaufte Leitern, die bis zum Obergeschoss reichen, Löschdecken, legte Hochbeete an. Mit der Gartenarbeit will er der Familie zeigen, wie man sich aus dem eigenen Garten ernähren kann. Für den Kamin ist ein großer Holzvorrat da, denn wer weiß, wie konstant die Gasversorgung in Zukunft aussieht?

Manchmal muss ihn seine Familie in seinem Eifer bremsen, lässt Wendt zwischen den Sätzen erkennen. Trotzdem hat er, wie von der Regierung empfohlen, einen Nahrungsvorrat für zwei Wochen angelegt, mit Konserven, Grundnahrungsmitteln und Getränken. Eine Batterie speist im Ernstfall die Notstromversorgung des Hauses.

Einen Bunker würde Wendt nicht anlegen, so weit geht die Sicherheitsliebe dann doch nicht. Seit einigen Jahren ist Wendt aber regelmäßiger Teilnehmer von Workshops, die die Agentur Survicamp in Berlin unter anderem im Strandbad Plötzensee anbietet. Mehr als zwei Dutzend Kurse hat Wendt schon mitgemacht, einmal nahm er auch seinen Zwölfjährigen Sohn mit, als es um das neuntägige Überleben in der Wildnis Nordschwedens ging. Im Schnee. Survicamp bietet verschiedene Kurse an, wie etwa den eintägigen Kurs „Blackout“, bei dem man lernt, sich auf den Krisenfall, in dem Fall ein Stromausfall, vorzubereiten. Ein andererTageskurs widmet sich den Wildkräutern, die man essen kann, ein anderer dem Anbau von Lebensmitteln, dem Konservieren von Lebensmitteln, dem Upcycling und der Hausmedizin.

Schon Oma hat sich vorbereitet
Beim Wildniscamp-Wochenende lernen die Überlebenskünstler den Lagerbau, die Holzbearbeitung, das Feuermachen ohne Streichhölzer, welche Survival-Knotenwichtig sind, und das wetterunabhängige Schlafen unter freiem Himmel. Oder: wie orientiere ich mich im Gelände ohne Kompass, und wie finde ich einen guten Lagerplatz? Wie filtere ich Wasser so, dass ich es gefahrlos trinken kann? Wie leiste ich Erste Hilfe ohne große Hilfsmittel? Wie baue ich mir eine Unterkunft, in der ich dann anschließend übernachte? Natürlich gibt es auch Unterricht im Bogenschießen, eine Fertigkeit, die nach wie vor sehr beliebt bei vielen Menschen ist. Auch wie man sich einen echten Löffel aus Holz schnitzt, wird gezeigt – und von den Teilnehmern begeistert nachgemacht. Schließlich kann man den Löffel mit nach Hause nehmen, und damit vor Freunden angeben. Oft klingen die Survival-Kurse mit einem Lagerfeuer am Abend aus, ebenfalls eine Sache, die gute Stimmung vermittelt, und die die Teilnehmer in guter Erinnerung behalten.

Bei Survicamp betont man aber den Unterschied zwischen Survival-

Kursen und Bushcrafting: Beim Survival liegt der Fokus auf dem Überleben in einer unfreiwilligen Notsituation, während beim Bushcrafting mehr auf das freiwillige Naturerlebnis im Vordergrund steht.

Das Survivalcamp ist als Rollenspiel angelegt. Die Teilnehmer werden dabei mit einer realistischen Situation konfrontiert, auf die sie reagieren müssen. Und weil sich Frauen in Notsituationen manchmal anders verhalten als Männer, gibt es auch spezielle Survivalcamps für Frauen. Vieles, was vermittelt wird, sind Dinge, die auch Kindern Spaß machen, und an Pfadfinderlager erinnern. So sind bei den Kursen viele Familien vertreten.

Daniel Schäfer, der Gründer von Survicamp, hat mit Benjamin Arlet das Buch „Das Überlebenshandbuch“ geschrieben. Gleich am Anfang geht er dabei auf das oft ziemlich negative Bild ein, dass in Großteilen der Bevölkerung vom sogenannten Prepper herrscht. „Angst ist ein schlechter Ratgeber“, behauptet Schäfer, der beruflich Stationen bei der Bundeswehr, der Polizei, als Unternehmensberater und Hochschuldozent absolviert hat. Damit gleicht sein beruflicher Hintergrund dem vieler Menschen, die sich sorgfältig auf Notfälle vorbereiten. Sie kommen nicht von ungefähr oft von der Bundeswehr, der Polizei, dem Technischen Hilfswerk oder der Feuerwehr. Vertrauen in bedrucktes Papier kann nach Schäfers Meinung so manches Mal enttäuschen. Er nennt exemplarisch die Gastwirte, die sich gegen Schadenfälle teuer versichert haben, nach der Corona-Pandemie aber vergebens auf Schadenfallzahlungen warten mussten. Er plädiert deshalb für handfeste Krisenvorsorge. Damit meint er vor allem Wissen, das sich jeder aneignen kann. Nach seiner Ansicht wird beim Thema Prepper allzu oft nur in Verbindung mit Subkulturen und Extremismus medial berichtet. „Eine Versicherung, dem Feuerstahl ein Feuer entfacht. auf die man sich zu 100 Prozent verlassen kann“, nennt Schäfer seine Survivalkurse. Die man so angehen kann, als ob man sich ein neues Hobby zulegt. Ein wichtiger Part, um in der Krise zu überleben, sei nicht nur die materielle Vorsorge, so Schäfer: „Es ist auch die richtige Haltung, Einstellung und Überlebenspsychologie“.

Seit der Corona-Krise, in der sich viele Menschen zwangsweise einigeln mussten, und somit auch mit einer unfreiwilligen Notsituation zurechtkommen mussten, stieg das Bewusstsein für den Umgang mit einer Krisensituation. Nicht von ungefähr wurde der Notfallratgeber, den das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn herausgab, auf einmal viel öfter bestellt.

Natürlich sind die Prepper mittlerweile auch ein Wirtschaftsfaktor. Der Kopp Verlag in Stuttgart ist einer der Zulieferer, die von diesem Boom profitieren. Dort sind Dinge wie eine Petroleumheizung, die auch zum Kochen outdoor geeignet ist, ein Kurbelradio, eine Kurbel-Dynamo-Powerstation, Chlordioxid zur Trinkwasserdesinfektion erhältlich. Sogar ein „Selbstverteidigungsregenschirm“, eine „hocheffektive Defensivwaffe gegen Angriffe“, ist für 99 Euro erhältlich. Des Weiteren werden Butterpulver, Hühnervolleipulver oder Mehl in Dosen für den Vorratskeller angeboten. Und natürlich das gute, alte Schweizer Taschenmesser, mit Säge, Dosenöffner, Korkenzieher und Flaschenöffner, das auch in normalen Zeiten gute Dienste leistet.

Als unabhängige Lichtquelle ist die Petromax-Lampe schon seit 1922 überall auf der Welt im Einsatz. Mit Petroleum erreicht sie eine Leuchtstärke zwischen 100 und 400 Watt. Sie ist jedoch nicht ganz einfach zu bedienen, da man das Petroleum erst „aufpumpen“ muss, wozu einige Fachkenntnisse nötig sind.

Ganz neu ist das Phänomen Prepper ja übrigens nicht. Denn wer in den Keller bei Großmutter schaute, fand nicht nur haufenweise Kohlen zum Heizen, sondern auch Nahrungsvorräte für den Winter: Eingemachtes wie Pflaumenkompott, Kirschen, Birnen oder Rhabarber, und Marmeladen, dazu eingelegte Gurken und Kürbis, manchmal sogar Gepökeltes, Gedörrtes oder Räucherfisch. Oma war „prepared“, sie war vorbereitet.

www.notration-anlegen.de

publiziert in: Endlich Wochenende, 03. August 2924

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Aus dem Kachelofen bullert Gemütlichkeit