Schöner Schwitzen
Auf dem Floß, in der Höhle oder auf dem Badekarren: In Deutschland entstehen Outdoor-Saunen nach meist skandinavischem Vorbild. Die Anlagen versprechen Wohlgefühl in malerischer Umgebung
Sich treiben lassen, eine Runde schwitzen und dann ins kalte Wasser springen: Für solche Erfahrungen sind die Saunaflöße gemacht, die der Anbieter Seekult in Berlin und Umgebung vermietet. Die einfach gehaltenen Konstruktionen bieten Platz für vier bis sieben Personen und sind mit Motoren ausgestattet, für man keinen Bootsführerschein benötigt. Eine Solarzelle auf dem Dach produziert genügend Strom, um Getränke zu kühlen und Smartphone-Akkus aufzuladen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Saunen, die in der Regel mit Elektroöfen betrieben werden, sorgen Holzöfen für die nötige Hitze – und gleichzeitig für eine wohlige Atmosphäre inmitten der Natur.
Besonders im seenreichen Osten Deutschlands werden schwimmende Saunen zahlreicher. Allein auf dem Werbellinsee in Brandenburg gibt es bereits zwei Saunaflöße, ein drittes wird gerade gebaut. Doch nicht nur in den neuen Bundesländern nimmt das beliebte Schwitzritual ungewohnte Formen an. Auch andernorts in Deutschland entstehen Outdoor-Saunen nach meist skandinavischem Vorbild – am Flussufer, im Wald oder auf dem Dach, und oft mit dem Anspruch, Funktionalität, Wohlfühlambiente und markantes Design miteinander zu verbinden. In Dagebüll in Schleswig-Holstein kann man sich in sogar in einen alten Leuchtturm mit integrierten Wellness-Oase einmieten.
Viel vorgenommen fürs neue Jahr hat sich der Hamburger Unternehmer Chris Duwe. Im Frühjahr 2025 will er im Holzhafen von Stade eine schwimmende Sauna eröffnen, bei der puristische Gestaltung auf Fjord-Feeling treffen. Die Anlage soll über Panoramafenster verfügen, durch die man vorbeifahrende Schlepper und Containerschiffe beobachten kann. Der Gründer der Firma Ahoi-Sauna ist im hohen Norden auf den Geschmack gekommen. „Vorletztes Jahr bin ich mit einem guten Freund im Camper durch Skandinavien gereist“, erzählt er. „Neben malerischen Landschaften, überraschendem Schneegestöber und Polarlichtern habe ich dort auch das Konzept der schwimmenden Sauna entdeckt“.
Seine Begeisterung habe ein Besuch der Soria-Moria-Sauna in der Ortschaft Dalen in der norwegischen Telemark geweckt, die wie ein glimmender Solitär auf dem Wasser eines einsamen Sees liegt, verkleidet mit Holzschindeln und golden glänzenden Elementen. „Ein echter Geheimtipp“, schwärmt Duwe. „Schon der Gang über den mit warmem Licht illuminierten Holzsteg hin zur Hütte auf dem See hat das Gefühl vermittelt, dass man den Alltag für die nächsten drei Stunden verlässt und auf seine eigene kleine Wellness-Oase spaziert“. Bei seinen Saunagängen habe er den Blick auf die Natur genossen, gefolgt von der Abkühlung im See. Zu Hause in Hamburg hat Duwe sich dann eingehend mit schwimmenden Saunen beschäftigt und geeignete Tischler und Architekten für sein Projekt gefunden. Jetzt sind die Pläne fertig und die Genehmigungen erteilt, der Bau der ersten Ahoi-Sauna ist im Gang. Da der Standort der Floßkonstruktion nicht ganz so einsam ist wie der ihres Vorbilds in Norwegen, werden die Panoramafenster mit Sichtschutzfolien beklebt, um die Saunagäste vor neugierigen Blicken zu bewahren. Weitere Anlagen in Berlin, Kiel und Aachen sollen folgen.
In den nordischen Ländern ist der regelmäßige Saunagang ein fester Bestandteil der kollektiven Selbstfürsorge. Dass die designverliebten Skandinavier die Nase vorn haben, wenn es um das Zusammenspiel von Architektur und Natur geht, zeigen Projekte wie die Solar Egg Sauna im nordschwedischen Kiruna. Dort hat das Künstlergespann Biger & Bergström ein riesiges, goldenes Ei in die Weite Schwedisch Lapplands gestellt. Die Hülle besteht aus Edelstahl-Spiegeln, die mit golden glänzendem
glänzendem Titanium bedampft sind, der Innenraum ist mit hellem Holz ausgekleidet und bietet Platz für acht Personen. Den Künstlern zufolge symbolisiert die ovale Saunaskulptur die Transformation unberührter Natur durch den Menschen und steht zugleich für einen Neuanfang – das Stadtzentrum von Kiruna musste dem Abbau der dortigen Eisenerzvorkommen weichen und wurde ein paar Kilometer weiter östlich neu errichtet. Nach seiner Eröffnung im Jahr 2017 ging das Sauna-Ei auf Weltreise und machte unter anderem Station in Kopenhagen, Paris und Minnesota, bevor es Anfang 2023 in die Umgebung von Kiruna zurückkehre, wo es inzwischen auf dem Gelände eines Eishotels steht. Ebenfalls in Schwedisch Lappland hat der Unternehmer Peder Norrman auf dem Lule-Fluss eine schwimmende Saunalandschaft namens „Arctic Bath“ erreichtet. Die ringförmig angelegte Holzkonstruktion erinnert von außen an eine Ansammlung von Treibholz, im Inneren kann man durch eine Öffnung in der Mitte nach dem Saunagang ins eiskalte Flusswasser hinabsteigen. Die Liebe zum Detail geht hier so weit, dass die Bademäntel mit stilisierten Schneekristallen verziert sind.
Mehr Saunen als Autos gibt es im Mutterland der Saunakultur: In Finnland kommen etwa drei Millionen auf 5,5 Millionen Einwohner. Das gemeinsame Schwitzen ist das Herz der finnischen Lebensart, und fast jedes finnische Zuhause verfügt über mindestens eine Sauna. Die wohl höchsten befinden sich in den umfunktionierten Kabinen eines Riesenrads in Helsinki. In der Sauna-Hauptsaison von November bis März bleiben die Gondeln allerdings geschlossen, weil die Betreiber bei niedrigen Außentemperaturen nicht garantieren können, dass es darin heiß genug wird. Charmante Alternativen gibt es reichlich, darunter den „Allas Sea Pool“ auf einem Ponton im Hafenbecken, wo man die Sauna auch für Gruppen mieten kann – oder die 1928 eröffnete Kotiharju-Sauna, die letzte verbliebene öffentliche Einrichtung, die auf traditionelle Weise mit Holz beheizt wird.
Auf der Suche nach Inspirationen blicken die Betreiber von Saunen und Wellnesslandschaften aus dem deutschsprachigen Raum allerdings nicht nur nach Skandinavien. In Südtirol veranstaltet das „Naturhotel Lüsnerhof“ zwischen April und November einmal pro Woche ein Schwitzhüttenritual nach dem Vorbild der nordamerikanischen Ureinwohner. Die Höhle, in der die Zeremonie stattfindet, bildet den Endpunkt eines 700 Meter langen Saunapfads und ist in den Waldboden eingebettet. Die Hörner eines Büffels schmücken die hölzerne Pforte, das dunkle Gewölbe im Inneren wird von natürlich gebogenen Zirbenstämmen getragen, die sich schützend über die Besucher zu legen scheinen wie die Hände eines Riesen. Das Ritual wird von Teilnehmern als Grenzerfahrung beschrieben. Es dauert zwei bis drei Stunden und sieht vor, dass die Hüterin des Feuers zu Trommelklängen verschiedene Alpenkräuter auf heiße Steine legt und mit Wasser übergießt. Die Aromen, die dabei entstehen, sollen zur Reinigung der Seele beitragen.
In den „Badegärten“ von Eibenstock im Erzgebirge können Saunagänger an einem russischen Wenik-Ritual teilnehmen und sich von den Saunameistern mit Birkenzweigen „auspeitschen“ lassen. Die passende Kulisse für diese Anwendung bildet ein weitläufiges Saunadorf nach sibirischem Vorbild. Es geht aber auch eine Nummer kleiner. In Emmerthal bei Hameln hat Michael Titz sich mit seiner Manufaktur Schwitzkasten 1800 darauf spezialisiert, historische Badekarren zu rekonstruieren, wie sie seit Beginn des 19. Jahrhunderts in den Seebädern an Nord- und Ostseeküste als Umkleidekabinen dienten. Die Firma bietet mehrere Optionen für den Ausbau der schmucken Retro-Kästen an. Die gängigste ist eine mobile Sauna, die man sich in den eigenen Garten stellen kann – zum Schwitzen auf Rädern.
publiziert in: Welt am Sonntag, 05. Januar 2025