Fragwürdige Entscheidungen
Berlin und sein zweifelhafter Umgang mit dem historischen Erbe
Kann man sich vorstellen, dass München sein Hofbräuhaus falls es eines Tages pleiteginge an McDonalds vermieten würde? Oder dass Leipzig die Traditionsgaststätte Auerbachs Keller falls sie insolvent wäre an Pizza Hut vermieten würde? Wohl kaum. In Berlin jedoch ist vieles möglich.
Traditionsgaststätten, wie es sie mit Moka Efti, dem Romanischen Café, dem Femina, dem Atlantis oder Aschingers gegeben hat, sind nach dem Zweiten Weltkrieg völlig aus dem Stadtbild verschwunden. Die traditionsreichen Kudamm-Kinos wie der Marmorpalast, die Filmbühne Wien, der Gloria-Palast oder das Universum Kino folgten in den 90er-Jahren. Das Neue Schauspielhaus am Nollendorfplatz vor Jahren sehr aufwändig restauriert liegt im Dämmerschlaf. Nur das altehrwürdige Café Kranzler, so schien es, behauptete sich als Eckstein und als knallige Reminiszenz der 50er-Jahre am Kurfürstendamm, Ecke Joachimsthaler Straße.
Doch auch damit ist es nun vorbei. Wer einen Kaffee in der berühmten Rotunde mit den rot-weißen Markisen schlürfen will, muss durch einen Jeansladen mit ohrenbetäubender Popmusik irren; von dort, mitten im Laden, führt eine unscheinbare Wendeltreppe hoch aufs Dach.
Gemütlich Kaffee trinken und Kuchen essen ist aber nicht mehr angesagt, denn in der "Kaffee-Scheune" (The Barn) sitzen Hipster auf Massivholzhockern und schlürfen Cold Brew aus Tassen ohne Henkel. Wahlweise kann man auch auf Sitzkissen auf einer Holzstufen sitzen, doch von dort ist die Aussicht nicht so toll. Serviert wird der Kaffee auch nicht mehr, man muss ihn an der Theke abholen und sollte dabei möglichst englische Sprachkenntnisse haben, das neue Berliner Servicepersonal ist international.
Ein Espresso kostet drei Euro, schmeckt aber leider nur säuerlich. Einen Löffel zum Umrühren? Dafür gibt es Holzstäbchen in einem Behälter zur Selbstbedienung. Kurzum, solch ein Laden für Coffee-Freaks würde sich in einer Remise in Neukölln bestimmt gut machen. Doch der postmoderne Kaffee im ökologischen Naturholz-Ambiente passt zu den filigranen Geländern, die das Café immerhin noch bewahrt hat, wie die Faust aufs Auge.
Den geschwungenen "Kranzler"-Schriftzug auf dem Dach und die rot-weiße Markise hat man wahrscheinlich nur deswegen nicht abmontiert, da sie denkmalgeschützt sind. "Many have been waiting for Café Kranzler to wake up from its beauty-sleep and to bring back its international reputation for quality coffee", schreibt der neue Betreiber ambitioniert. Tatsächlich hätte Berlin gut daran getan, einen solch emblematischen Ort mit einem "echten" Café Kranzler wiederzubeleben. Doch Reminiszenzen an vergangene Zeiten der frühen Moderne, selbst wenn sie mittlerweile rar sind, sind der Berliner Regierung nichts wert.
Wie anders ist es zu erklären, dass ein weiteres "landmark" des alten West-Berlin, das ICC, seit Jahren vor sich hin modert und vergeblich auf die Asbestsanierung wartet? An Bedarf an Konferenzorten mit Flair mangelt es der Hauptstadt gewiss nicht. Ein weiteres, wenn auch umstrittenes architektonisches Erbe der Nachkriegsmoderne ist der Bierpinsel, den man von "Malkünstlern" bis zur Unkenntlichkeit verunstalten ließ. Auch er wartet an der Stadtautobahn schon lange darauf, fachgerecht restauriert zu werden.
Dass die Stadt, wenn sie denn will, durchaus in der Lage ist, ihr historisches Erbe angemessen zu würdigen und zu präsentieren, zeigt die prachtvolle Restauration der Museumsinsel, ein Besuchermagnet ohnegleichen. Auch das aufgemöbelte Erbe der DDR-Zeit siehe Fernsehturm, Karl-Marx-Allee wird von Touristen sehr geschätzt.
Die Berliner S-Bahn hat ebenfalls die Zeichen der Zeit erkannt und ihre Bahnhöfe in der Stadtmitte nicht nur historisch fachgerecht saniert und gesäubert, sie wurden auch noch mit einer hochinteressanten Dauerausstellung zur Geschichte dieser markanten Orte bestückt. Dass das neue Hochhaus am Breitscheidplatz in Deppenenglisch "Upper West" getauft wurde geschenkt. Aber bitte kein "Café Kranzler featuring The Barn"!
publiziert in: Forum Magazin, 09. März 2017